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Aktuelles

Haben wir zu viele Weltretter?

14. Juni 2011 · 11:24 · Alter: 13 Jahre

Süddeutsche Zeitung

www.sueddeutsche.de/kultur/1.1106177

In der Süddeutschen stellt Niko Paech eine interessante These auf, seiner Meinung nach würden die so genannten "Weltretter" selber das Problem verstärken. Wie wir den Artikel verstehen meint der Autor vor allem eine bestimmtes Klientel and Highsociety Nachhaltigkeits-Predigern. Oekojobs möchte auch dazu anregen die Welt zu verbessern, dabei möchten wir einen anderen Typus von Weltverbesserern propagieren und ansprechen, denn es nützt wenig nur Nachhaltigkeit zu propagieren, denn "Du veränderst die Welt!". Aber lest selber, wir freuen uns übrigens über Gegenthesen, Diskussion und Hinweise zum Thema auch auf unserer Facebookseite: www.facebook.com/oekojobs

Rettet die Welt vor den Weltrettern

07.06.2011

Scharlatane, die Wasser predigen, aber Wein trinken, verursachen den größten
anzunehmenden Kommunikationsunfall in Sachen Ökologie: Nie wurden Nachhaltigkeitsziele lauter bekundet, während sich die Lebenspraktiken immer weiter davon entfernen. Und eine hochdotierte Nachhaltigkeits-Schickeria jettet so pausen- wie wirkungslos von Kontinent zu Kontinent

Von Niko Paech

Im vergangenen Jahr hat der Flugverkehr in Deutschland trotz Vulkanasche und letzter Ausläufer der Finanzkrise einen neuen Rekord erzielt. Speziell dieser Gipfel mobilitätsbasierter Selbstverwirklichungsexzesse ist insoweit bemerkenswert, als es keiner besonderen Vorkenntnisse bedarf, um Gewissheit darüber zu haben, dass Flugreisen ökologische Schadensmaximierung bedeuten:
Was könnte ein Einzelner sonst tun, um mit vergleichsweise geringem Aufwand an Geld und Zeit jegliche Klimaschutzbemühungen optimal zu torpedieren?
Zugleich wächst der Bionade-, Ökostrom- und Naturtextilienumsatz. Jedes vollwertige „Lohas“ [1] -Exemplar würde sich in Grund und Boden schämen, sollte sich herausstellen, dass der soeben verzehrte Latte Macchiato etwa nicht von fair gehandelten Kaffeebohnen stamme. Solaranlagen auf den Dächern werden zum architektonischen Dresscode eines neuen Verantwortungsbewusstseins. Alles wächst um die Wette: das Zerstörerische, das etwas weniger Zerstörerische und das vermeintlich noch weniger Zerstörerische mit aufgepfropfter Nachhaltigkeitssymbolik.
Offenkundig hat sich ein neues, innovatives Produkt zum Schrittmacher für wirtschaftliches Wachstum gemausert: Moral, die gekauft werden kann und garantiert weder Mühe noch Einschränkung bedeutet. Ganz im Gegenteil. Wie ein Weichspüler dem Hauptwaschmittel, so wird der Moralzusatz andernfalls kaum zu rechtfertigenden Handlungen zugegeben. Sogenannte „CO2-Compense“-Angebote, die mit „klimabewusst fliegen“ werben, markieren eine besondere Stilblüte dieses neuen Ablasshandels.
Dabei zerschellt die ökologische Modernisierung an einem Faktum, das simpler nicht sein könnte: Per se nachhaltige Technologien und Objekte sind gar nicht denkbar. Die vielen Bestrebungen, das moderne Konsum- und Mobilitätsmodell von ökologischen Schäden zu entkoppeln, offenbaren eine Geschichte des Scheiterns und Verschlimmbesserns.
Warum ist ein 3-Liter-Auto klimafreundlicher als ein 20-Liter-Opel Admiral, wenn der Besitzer des ersteren pro Tag 200 Kilometer hin und zurück zum Arbeitsplatz fährt, während der Admiral-Besitzer damit nur fünfmal jährlich ein regionales Ziel ansteuert, das keinen Bahnhof hat? Inwieweit trägt ein Passivhaus zur nachhaltigen Entwicklung bei, wenn dessen Besitzer jede Woche eine Flugreise antritt und vielleicht gerade deshalb in diesen Gebäudetyp und den damit verbundenen Reputationseffekt investiert hat? Ähnliches gilt für die Geländewagen fahrende Stammkundschaft des Öko-Supermarktes oder den Ökostrom nutzenden Haushalt, der über so viele Flachbildschirme, Computer und Stereoanlagen wie Zimmer verfügt.
Konsumaktivitäten sind längst zu einem identitätsstiftenden
Kommunikationsinstrument geworden. Daher soll die Strahlkraft nachhaltiger Symbolik das weniger nachhaltige Andere, welches vom selben Individuum ebenfalls praktiziert wird, kaschieren oder kompensieren.
Die Multioptionsgesellschaft [2] baut das Individuum zum Trägermedium paralleler Identitäten, Lebensführungen und sozialer Praktiken auf. Inmitten der Palette jederzeit abrufbereiter Selbstinszenierungsapplikationen lässt sich immer auch eine vorzeigbare Nachhaltigkeitsgesinnung unterbringen. Ein Teilzeitphänomen.
In Wahrheit können allein Lebensstile insgesamt nachhaltig sein. Nur die Summe der ökologischen Wirkungen aller von einem einzelnen Subjekt ausgeübten Aktivitäten lässt Rückschlüsse auf dessen Nachhaltigkeits-Performance zu.

 

Selbsternannte Prediger

Folgt man dem „Budgetansatz“ [3] des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU), so würde die Erreichung des 2-Grad-Klimaschutzzieles bedeuten, dass jedem Erdbewohner bis 2050 pro Jahr noch 2,7 Tonnen CO2 zur Verfügung stünden. Allein eine Flugreise nach New York (und zurück) verursacht circa 4,2 Tonnen CO2. Die durchschnittliche CO2-Bilanz eines Bundesbürgers wird derzeit auf desaströse 11 Tonnen pro Jahr geschätzt.
Die gravierende Fehlleistung bisheriger Kommunikationsstrategien rührt daher, dass zu viele kleine Al Gores in Erscheinung treten, die sich mit überlegener theoretischer Nachhaltigkeitsexpertise präsentieren, jedoch unverhohlen eine diametral entgegengesetzte Alltagspraxis vorführen.
Dies gilt nicht nur für eine hochdotierte Nachhaltigkeits-Schickeria, die im Namen des Klimaschutzes genauso pausen- wie wirkungslos von Kontinent zu Kontinent jettet, um den immer gleichen Vortrag - manchmal sogar vor den immer gleichen Konferenztouristen - zu halten.
Längst hat sich ein breiter Nachhaltigkeitsklerus verfestigt, der mit Karriere- und Entfaltungsmöglichkeiten lockt. Hier tummeln sich die vielen modernen Weltretter, die im Auftrag von (Hoch-) Schulen, Forschungseinrichtungen, Gebietskörperschaften, Verbänden, Unternehmen, Kirchen, Netzwerken oder aus intrinsischer Berufung agieren.

 

Ausufernde Konferenz- und Missionstätigkeit

Ihre Hauptaktivitäten bestehen darin, sich zu vernetzen, Erfahrungen auszutauschen, Dialoge anzubahnen, Feldforschung für eine anstehende Abschlussarbeit zu betreiben, Meetings abzuhalten, Forschungsergebnisse kundzutun, Standpunkte zu vertreten, Dokumente zu verfassen, Medienereignisse zu inszenieren - kurz: global präsent und wichtig zu sein.  Öffentliche Budgets, Forschungsgelder, Spendeneinnahmen der Verbände und das finanzielle Engagement der Wirtschaft unterfüttern diesen Prozess.
Nicht nur aufgrund ihrer Kerosinträchtigkeit nebst anderen materiellen Voraussetzungen trägt die ausufernde Konferenz- und Missionstätigkeit zur Verschärfung der Probleme bei, die zu lösen sie vorgibt. Noch kontraproduktiver wirkt sich der Umstand aus, dass ein hyperventilierendes Engagement, das sich in bloßer Mobilität und Symbolproduktion erschöpft, die perfekte Antithese zur Verbreitung zukunftsfähiger Lebensstile bildet.  Letztere sind ohne hinreichende Sesshaftigkeit und graduelle Abkehr von weiträumiger Fremdversorgung schlichtweg undenkbar.
Wir erleben derzeit eine Nachhaltigkeitsprofessionalisierung, die von jedem substanziellen Handeln im unmittelbaren Umfeld abstrahiert. An dessen Stelle tritt ein weiches Substitut in Form reiner Management-, Funktionärs- oder Lehrtätigkeiten.
Nachhaltigkeitsorientiertes Handeln wird so zu einem Teil jenes arbeitsteiligen Delegationsprinzips umdefiniert, das ja selbst niemals nachhaltig sein kann. Maßgeblich für diese Entwicklung ist das moderne Bildungssystem, und zwar nicht nur infolge einer ökologisch verheerenden Billigflug-Internationalisierung des „Bologna“-Studiums. Vielmehr konditioniert der umfassende Vollzug des modernen Bildungsideals überall Individuen, die vollständig in die globale Funktionsdifferenzierung eingebunden sind.
Das komfortabele, mühelose Leben
Schüler und Studenten werden mit hoher Reflexions- und
Kommunikationsfähigkeit ausgestattet, verfügen aber über eine manuelle Kompetenz, die sich auf die Bedienung eines Touchscreens beschränkt. Diese praktisch-manuelle Beunfähigung ist der Preis für eine an Fortschrittsgläubigkeit nicht zu überbietende pädagogische Mobilmachung, die nur ein Ziel kennt: möglichst jeden Menschen mit einem Hochschulabschluss zu versehen, um ihn an der abstrakten Arbeitsteilung und einem komfortablen, mühelosen Leben teilhaben zu lassen.
Aber Lehreinheiten, Auslandspraktika, kluge Vorträge oder medienwirksame Aktionen bilden keinen Ersatz für den eigenen Vollzug einer räumlich und zeitlich sinnvollen Lebensführung. Umso prägnanter ist der Eifer, mit dem die sich perpetuierende Wirkungslosigkeit ausgebreitet wird.
Jede Bildungs- und Forschungseinrichtung, die etwas auf sich hält, engagiert sich im neuen Funktionssystem „Weltverbesserung“. Die vielen daraus hervorgehenden Multiplikatoren und Podiumsexperten identifizieren und traktieren jede auch nur im Entferntesten tauglich erscheinende Zielgruppe, womit die konkrete Materialisierung von Nachhaltigkeit gleichsam an diese delegiert wird. Was aber, wenn sich die Adressaten - Chinesen, Inder, Afrikaner? - weniger von den ohnehin unglaubwürdigen Nachhaltigkeitsimperativen als von den vorgelebten Wohlstandspraktiken der selbsternannten Prediger inspirieren lassen?
Würde das moderne Credo von komfortabler Fremdversorgung und immer „höherer“ Bildung konsequent fortgeschrieben, dann wäre der Planet irgendwann nur noch von wohlsituierten, ökologisch aufgeklärten Konsumenten bevölkert, die darüber kommunizieren, dass sich etwas ändern muss, aber niemanden mehr haben, dem sie die Schmutzarbeit dieser Änderung zuschieben können - außer einer technischen Infrastruktur, von der längst bekannt ist, dass sie nicht Teil der Lösung, sondern des Problems ist.
Immer augenscheinlicher formt sich ein Befund aus, der an eine Binsenweisheit gemahnt, nämlich dass Scharlatane, die Wasser predigen, aber Wein trinken, den größten anzunehmenden Kommunikationsunfall in Sachen Ökologie verursachen: Sie reproduzieren die Schizophrenie einer Gesellschaft, deren Nachhaltigkeitsziele nie lauter bekundet wurden und deren Lebenspraktiken sich nie weiter davon entfernt haben.

Der Autor vertritt derzeit den Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg. Er hat zahlreiche Publikationen zur Nachhaltigkeitsforschung vorgelegt und ist Vorsitzender der Vereinigung für ökologische Ökonomie.